Theo Morell

Theo Morell (1940)
Gebäude der Praxis am Berliner Kurfürstendamm 216 (ab 1935)

Theodor Karl Ludwig Gilbert „Theo“ Morell[1] (* 22. Juli 1886 in Trais, heute ein Stadtteil von Münzenberg; † 26. Mai 1948 in Tegernsee) war ein deutscher Urologe. Von 1936 bis 1945 war er Leibarzt Adolf Hitlers.

Theo Morell legte sein Abitur 1907 in Gießen ab und studierte anschließend Medizin an den Universitäten Gießen (1 Semester), Heidelberg (5 Semester) und München (2 Semester), unterbrochen mit je einem Auslandssemester an den Universitäten Grenoble und Paris. 1907 trat er der Burschenschaft Germania Gießen bei. In München wurde er 1913 bei Albert Döderlein zum Dr. med. promoviert.[2] 1919 heiratete Morell die Schauspielerin Johanna „Hanni“ Moller (1898–1983)[3]. Die Ehe blieb kinderlos.

Morell fuhr vor dem Ersten Weltkrieg neun Monate lang als Schiffsarzt zur See. 1914 ließ er sich als praktischer Arzt in Dietzenbach bei Offenbach nieder. 1915 wurde er zum Militär eingezogen und als Stabsarzt im Westen eingesetzt. Er erkrankte bald an einem Nierenleiden und verbrachte die folgenden Jahre teils in Lazaretten, teils als Arzt in Kriegsgefangenenlagern. Anfang 1918 wurde er als dienstuntauglich entlassen, ließ sich im Oktober 1918 als Facharzt für Urologie in Berlin nieder und baute dort eine Praxis für Urologie und Elektrotherapie auf.[4]

1933 trat Morell in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) ein. 1935 zog er mit seiner Praxis auf den Kurfürstendamm und bezeichnete sich dort als „(Fach)arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten“.[5] Zu seinen Patienten gehörten viele Prominente und Politiker sowie auch Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann, dessen Gonorrhoe er behandelte.[6] Dieser vermittelte ihm 1936 einen Besuch bei Hitler auf dem Berghof. Morell konnte ihm bei seinen Magen-Darm-Beschwerden helfen und wurde von ihm zum Leibarzt bestimmt. In Morells Unterlagen taucht Hitler stets als „Patient A“ auf. Morell blieb an Hitlers Seite bis zum 21. April 1945, als er überraschend entlassen und durch den SS-Arzt Werner Haase ersetzt wurde. Morell war Träger des Goldenen Parteiabzeichens[7] und erhielt am 24. Februar 1944 das Ritterkreuz des Kriegsverdienstkreuzes.[8]

Seine Behandlungsmethoden, u. a. eine große Zahl von Injektionen, wurden von anderen Ärzten in Hitlers Umgebung sehr argwöhnisch betrachtet. Morell putschte Hitler oft mit Pervitin auf.[9][10] Er wurde für Hitlers schlechten Gesundheitszustand in den letzten Jahren verantwortlich gemacht.[11] Laut Recherchen von Ottmar Katz, der 1982 eine Biographie über Morell veröffentlichte, wird dies in anderen Quellen als nicht den Tatsachen entsprechend dargestellt. Der amerikanische Psychiater und Historiker Nassir Ghaemi, der den Zusammenhang zwischen Führung und affektiven Störungen untersuchte, nimmt an, dass Hitler Symptome einer manisch-depressiven Erkrankung zeigte, die durch Morells Injektionen mit Barbituraten und Amphetaminen noch verstärkt wurden bzw. die Folge einer Methamphetamin-Abhängigkeit waren.[12][13]

Morell wurde am 24. Dezember 1938 von Hitler der Titel Professor verliehen,[14] erhielt 1943 eine Dotation in Höhe von 100.000 RM[15] (für 2023 umgerechnet 500.000 €[16]) sowie 1944 das erste industriell gefertigte und funktionierende Elektronenmikroskop geschenkt. Gegen Kriegsende wurde in Bayerisch Gmain mit einem Kostenaufwand von 500.000 RM (2023er Gegenwert etwa 2.300.000 €[16]) für Morell ein Forschungsinstitut errichtet, in dem das Elektronenmikroskop in einem „Spezialbunker“ untergebracht war.[17]

Am 23. April 1945 wurde Morell aus Berlin ausgeflogen, anschließend hielt er sich eine Zeit in der amerikanischen Besatzungszone im Krankenhaus in Bad Reichenhall auf. Am 17. Juli 1945 wurde er am Münchener Hauptbahnhof festgenommen. Morell war danach kurzzeitig in US-Gefangenschaft im Internierungslager Dachau. Dort wurde untersucht, ob er Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschheit begangen hatte, doch die Ermittlungen konnten ihm nichts nachweisen.[18]

Im Juli 1945 entdeckten die Amerikaner wertvolle Arzneimittel im Wert von 140.000 RM (entspricht 2023 etwa 600.000 €[16]), die Morell in München versteckt hatte. Die Medikamente wurden von der bayerischen Ärztevereinigung an die Krankenkassen verkauft, wobei der Erlös wohltätigen Zwecken zugeführt wurde. Man ging davon aus, dass dies „zu einer fühlbaren Milderung der Arzneimittelknappheit in Bayern führen dürfte, wo die Lage besonders kritisch ist, da die Nationalsozialisten beträchtliche Bestände von Arzneimitteln kurz vor der Niederlage aus München weggeschafft haben“.[19]

Am 30. Juni 1947 wurde Morell mit aphasischen Sprachstörungen in das Kreiskrankenhaus Tegernsee eingeliefert. Dort starb er ein Jahr später mit 61 Jahren.[18] Er hinterließ ein geschätztes Vermögen von 1,9 Millionen DM (entspricht 2023 ca. 5,8 Millionen Euro[16]).[20]

Während der Kriegsjahre kaufte Morell in Hamburg und im mährischen Olmütz Fabriken, in denen er unter anderem Hormonpräparate, Vitaminkonzentrate und ein Läusepulver namens „Russla“ herstellen ließ.[21] Das Läusepulver hatte Morell selbst für die Wehrmacht entwickelt. Es zeigte bei Versuchsreihen Wirkung, wurde von den Soldaten aber abgelehnt. Es strömte einen widerlichen Geruch aus und musste, um wirksam zu sein, in trockenem Zustand verwendet werden.[22] Wegen der einfachen Verpackung und der Verhältnisse, unter denen die Soldaten lebten, wurde das Mittel häufig feucht und dadurch wirkungslos. Auf Weisung Hitlers schaffte die Wehrmacht das Mittel „Russla“ im großen Stil zur Vermeidung des durch Läuse übertragenen Fleckfiebers an.[23] Morell erzielte dadurch zeitweise hohe Einkünfte.[7] 1944/1945 setzte sich ein Konkurrenzprodukt durch.[24]

Morell kaufte sich am 28. März 1938 für 338.000 Reichsmark am Rande von Berlin eine Villa auf einem über 10.000 Quadratmeter großen Seegrundstück in der Inselstraße 24–26 auf der am Ausgang des Großen Wannsees in der Havel liegenden Insel Schwanenwerder.[25] Diese Villa hatte zuvor dem jüdischen Bankier Georg Solmssen gehört, der zum Verkauf gezwungen worden war.[26] 1961 kaufte der Hamburger Verleger Axel Springer das Anwesen.[27] Eine weitere Villa besaß Morell im Kurort Heringsdorf an der Ostsee. Den Bau einer dritten Villa gab er gegen Kriegsende in Berchtesgaden in Auftrag.[7]

Veröffentlichungen

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  • Sechzehn Fälle von verschleppter Querlage und ihre Behandlung in der Universitäts-Frauen-Klinik zu München. Druck der Straßburger Neuesten Nachrichten, Straßburg 1913 (Dissertation, Universität München, 1913).
Commons: Theo Morell – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. vollständiger Name im Heiratsregister Charlottenburg 816/1919 vom 7. August 1919
  2. https://quart-ifk.bsb-muenchen.de/ifk_quart/jsp/imageAnz.jsp?Display=ImageCard&ImageID=46538337&Lang=de , Quart-Katalog der Bayerischen Staatsbibliothek, abgerufen am 3. Dezember 2016. https://gateway-bayern.de/BV020496466
  3. Eheschließungsregister StA. (Berlin-)Charlottenburg Nr. 1919/816
  4. https://www.deutsche-biographie.de/sfz65393.html
  5. Mathias Schmidt, Dominik Groß, Jens Westemeier: Die Ärzte der Nazi-Führer: Karrieren und Netzwerke. LIT Verlag Münster, 2018, ISBN 978-3-643-13689-3, S. 52 (google.de [abgerufen am 4. Mai 2021]).
  6. Matthias Drobinski: Drogenkrieg. Enthemmt, euphorisch, hellwach – Pervitin war die Wundertablette des Nationalsozialismus. In: Süddeutsche Zeitung, 8. September 2015, S. 3.
  7. a b c Henrik Eberle, Matthias Uhl (Hgg.): Das Buch Hitler. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 2007, S. 398.
  8. Henrik Eberle: Morell und Hitler – Hitler und Morell. In: Mathias Schmidt, Dominik Groß, Jens Westemeier (Hrsg.): Die Ärzte der Nazi-Führer. Karrieren und Netzwerke. Lit, Münster 2018, S. 49.
  9. Norman Ohler: Der totale Rausch: Drogen im Dritten Reich, Köln 2015, ISBN 978-3-462-04733-2.
  10. Hitlers geheime Drogensucht
  11. Hitlers Leibarzt: Auf Rotglut. In: Der Spiegel. Nr. 18, 28. April 1969.
  12. Nassir Ghaemi: A First-Rate Madness. Uncovering the Links between Leadership and Mental Illness. Penguin Press, New York 2011, ISBN 978-1-59420-295-7, S. 197 ff.
  13. Hitler. An der Nadel. In: Der Spiegel. 7/1980, S. 85–87.
  14. Schenck (1998), Prof. Dr. med. Theodor Gilbert Morell, S. 15.
  15. Gerd R. Ueberschär, Winfried Vogel: Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten. Frankfurt 1999, ISBN 3-10-086002-0.
  16. a b c d Diese Zahl wurde mit der Vorlage:Inflation ermittelt, ist auf volle 100.000 € gerundet und bezieht sich auf Januar 2024.
  17. Hitler baute seinem Leibarzt ein Forschungsinstitut bei Reichenhall. In: Wiener Kurier. Herausgegeben von den amerikanischen Streitkräften für die Wiener Bevölkerung, 23. November 1946, S. 2 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/wku
  18. a b Derek Doyle: Adolf Hitler’s medical care. In: The Journal of the Royal College of Physicians of Edinburgh. Bd. 35 (2005), H. 1, S. 75–82.
  19. Hitlers Leibarzt. Großhändler für Entlausungspulver. In: Kärntner Nachrichten, 30. Juli 1945, S. 2 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/kna
  20. Millionengeschäfte mit Läusepulver. In: Arbeiterwille. Sozialdemokratisches Organ der Alpenländer / Arbeiterwille. Organ des arbeitenden Volkes der Alpenländer / Arbeiterwille. Organ des arbeitenden Volkes für Steiermark und Kärnten / Arbeiterwille. Organ des arbeitenden Volkes für Steiermark, Kärnten (und Krain) Neue Zeit. Organ der Sozialistischen Partei Steiermarks, 26. August 1949, S. 2 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/awi
  21. In den tschechischen Milo-Werken wurden hauptsächlich Margarine, Senf und Essig, Putz- und Scheuermittel etc. hergestellt. Angaben nach: Schenck: Prof. Dr. med. Theodor Gilbert Morell. 1998, S. 317 f.
  22. Schenck: Prof. Dr. med. Theodor Gilbert Morell. 1998, S. 345.
  23. Schenck: Prof. Dr. med. Theodor Gilbert Morell. 1998, S. 322.
  24. Schenck: Prof. Dr. med. Theodor Gilbert Morell. 1998, S. 360 f. (das Konkurrenzprodukt „Delivia“ basierte auf einem gemeinsamen Grundstoff des „Russla-Puders“, hatte aber eine andere Zusammensetzung; Schenck: Prof. Dr. med. Theodor Gilbert Morell. 1998, S. 361).
  25. David Irving: Wie krank war Hitler wirklich? Der Diktator und seine Ärzte. Ebner Ulm 1980. ISBN 3-453-01155-4
  26. Thomas Loy: Goebbels Garage im Angebot. In: Zeit Online. 11. Mai 2010.
  27. Geschichtslandschaft Berlin: Zehlendorf. Nicolai, 1985, S. 418 (google.de [abgerufen am 6. Mai 2021]).