Ungesühnte Schläge

Film
Titel Ungesühnte Schläge
Originaltitel Żeby nie było śladów
Produktionsland Polen, Tschechien, Frankreich
Originalsprache Polnisch
Erscheinungsjahr 2021
Länge 160 Minuten
Stab
Regie Jan P. Matuszyński
Drehbuch Kaja Krawczyk-Wnuk
Produktion Leszek Bodzak,
Aneta Cebula-Hickinbotham
Musik Ibrahim Maalouf
Kamera Kacper Fertacz
Schnitt Przemysław Chruścielewski
Besetzung

Ungesühnte Schläge (Originaltitel Żeby nie było śladów, internationaler Titel: Leave No Traces) ist ein polnisches Filmdrama von Jan P. Matuszyński, das im September 2021 bei den Internationalen Festspielen von Venedig seine Premiere feierte und im September 2021 in die polnischen Kinos kam. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Bericht/Roman von Cezary Łazarewicz.

Am 12. Mai 1983 wird Grzegorz Przemyk, der Sohn der oppositionellen Dichterin Barbara Sadowska, festgenommen, von einer Polizeistreife brutal zusammengeschlagen und stirbt zwei Tage später. In Polen gilt noch das Kriegsrecht, das zuvor vom kommunistischen Regime eingeführt wurde, um die Opposition der Solidarność zu unterdrücken. Der einzige Zeuge des gewaltsamen Übergriffs der Polizei ist einer von Grzegorz' Kollegen, Jurek Popiel, der beschließt, für Gerechtigkeit zu kämpfen und auszusagen, um die Polizisten zu belasten. Der Staatsapparat, einschließlich des Innenministeriums, unterschätzt die Sache zunächst. Als jedoch 20.000 Menschen hinter Przemyks Sarg in den Straßen Warschaus marschieren, beschließen die Behörden, alle verfügbaren Mittel gegen den Zeugen und die Mutter des Verstorbenen einzusetzen, um sie einzuschüchtern und Jurek von der Aussage vor Gericht abzuhalten.[1]

Kriegsrecht in Polen

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Der Trauerzug von Grzegorz Przemyk auf dem Weg von der St.-Stanislaus-Kostka-Kirche zum Powązki-Friedhof in Warschau

In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember 1981 rief die kommunistische Regierung der Volksrepublik Polen den Kriegszustand aus.[2] Diese Meldung wurde um sechs Uhr morgens von den Radiostationen bekanntgegeben. Polens Staats- und Parteichef Wojciech Jaruzelski, der im Oktober 1981 als Verteidigungsminister die Macht über das Land übernommen hatte, verhängte damit das Kriegsrecht über Polen, und Einheiten der Armee und polizeiliche Sicherheitskräfte besetzten die wichtigsten strategischen Einrichtungen. Zusätzlich wurden die Grenzen geschlossen, eine Ausgangssperre verhängt und die Telefonkommunikation eingeschränkt. Ein aus Generälen bestehender Militärrat regierte fortan das Land.[3] Am 22. Juli 1983 wurde das Kriegsrecht wieder aufgehoben.[4] In den Jahren zuvor hatten sich die Arbeiter mit landesweiten Streiks, besonders durch die Gewerkschaftsbewegung „Solidarność“, eine gewisse Freiheit erkämpft.[5] Diese hatte für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen gekämpft.[4]

Der Roman Żeby nie było śladów von Cezary Łazarewicz aus dem Jahr 2016, auf dem der Film basiert, beschreibt anhand der Geschichte von Grzegorz Przemyk, wie es den kommunistischen Behörden gelungen war, die Spuren der Verbrechen zu verwischen und sie es versäumten, die Schuldigen zu finden und zu bestrafen. An der Beerdigung des jungen Mannes hatten Zehntausende Menschen teilgenommen, die mit zum Siegeszeichen erhobenen Händen den Sarg in völliger Stille nach Powązki trugen. In der Geschichte um Przemyk verwebt der Autor die Geschichten seiner Eltern, der Dichterin Barbara Sadowska und des Vaters Leopold. Gleichzeitig beleuchtet er in dem Roman die Hintergründe des Vorgehens der Behörden und den Einfluss, den Czesław Kiszczak, Wojciech Jaruzelski und Jerzy Urban auf die Vertuschung des Falls hatten.[6]

Kiszczak, der damalige Innenminister der Volksrepublik Polen, sorgte dafür, dass die Anklage gegen die Polizisten, die Przemyk geschlagen hatten, fallengelassen wurde. Die Verantwortung für seinen Tod wurden einem Sanitäter und einem Arzt zugeschrieben, die zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Diese Urteile wurden nach dem Fall des Eisernen Vorhangs aufgehoben und der Prozess wieder aufgenommen. Trotz der Versuche, die Schuldigen in mehreren Prozessen zu verurteilen, konnte keiner der Angeklagten für die tödlichen Schläge zur Rechenschaft gezogen werden.[7]

Regie führte Jan P. Matuszyński, während Kaja Krawczyk-Wnuk Łazarewiczs Roman adaptierte. Der vom polnischen Original übernommene internationale Filmtitel Leave No Traces bezieht sich auf eine zentrale Szene, in der Grzegorz Przemyks Delinquenten von einem führenden Milizionär auf der Wache angewiesen werden, ihn in den Bauch zu treten, um sichtbare Verletzungen oder blaue Flecken zu vermeiden.[8][9][10]

Jacek Braciak spielt Jureks Vater Tadeusz und Agnieszka Grochowska seine Mutter Grażyna
Jacek Braciak spielt Jureks Vater Tadeusz und Agnieszka Grochowska seine Mutter Grażyna
Jacek Braciak spielt Jureks Vater Tadeusz und Agnieszka Grochowska seine Mutter Grażyna

Tomasz Ziętek spielt in der Hauptrolle Grzegorz Przemyks Freund Jurek Popiel, der die Tat bezeugen kann. Sandra Korzeniak spielt Barbara Sadowska, Grzegorz' Mutter. Dieser wird von Mateusz Górski gespielt. Agnieszka Grochowska und Jacek Braciak sind in den Rollen von Jureks Eltern Grażyna und Thadeusz zu sehen.[11] Aleksandra Konieczna spielt Wieslawa Bardon, die erste Staatsanwältin, die mit dem Fall Grzegorz Przemyk betraut wurde, und Ewelina Starejki ihre Nachfolgerin Staatsanwältin Brzozowska. Mikolaj Grabowski spielt Generalstaatsanwalt Franciszek Rusek. Robert Wieckiewicz verkörpert General Czesław Kiszczak, der damals Innenminister der Volksrepublik Polen war, und Tomasz Kot seinen Berater Kowalczyk. Tomasz Dedek ist in der Rolle des Ministerpräsidenten Wojciech Jaruzelski zu sehen. Arkadiusz Brykalski spielt den Reporter Karol Malcuzynski und Aidan Hoyle dessen Chef, den BBC-Mann Kevin Ruane.

Die deutsche Untertitelung stammt von Ruth Mai.

Die Filmmusik komponierte Ibrahim Maalouf. Das Soundtrack-Album wurde Ende April 2022 von Mister Ibé als Download veröffentlicht.[12]

Die Premiere erfolgte am 9. September 2021 bei den Internationalen Festspielen von Venedig.[13] Ebenfalls im September 2021 wurde er beim Polnischen Filmfestival Gdynia vorgestellt[1] und kam am 24. September 2021 in die polnischen Kinos.[14] Im November 2021 wurde er beim Filmfestival Cottbus und beim Exground Filmfest Wiesbaden gezeigt.[15] Ende Februar, Anfang März 2022 wurde er beim Internationalen Film Festival in Belgrad vorgestellt.[16] Ende April 2022 wurde Leave No Traces beim Crossing Europe Filmfestival in Linz vorgestellt und feierte hier seine Österreichpremiere.[17] Der Film fand in Deutschland keinen Verleih, wurde aber schließlich im November 2024 von arte zum Streaming angeboten.[18][19]

Tomasz Kot spielt Innenminister Czesław Kiszczaks Berater Kowalczyk und Andrzej Chyra den Parteisekretär Miroslaw Milewski
Tomasz Kot spielt Innenminister Czesław Kiszczaks Berater Kowalczyk und Andrzej Chyra den Parteisekretär Miroslaw Milewski
Tomasz Kot spielt Innenminister Czesław Kiszczaks Berater Kowalczyk und Andrzej Chyra den Parteisekretär Miroslaw Milewski

Kira Taszman erklärt in ihrer Kritik für den Filmdienst, Regisseur Jan P. Matuszyński erzähle das Drama meist aus der Opferperspektive, doch er benenne auch die Täter an höchster Stelle. Mit welcher Heimtücke und Kälte die Repräsentanten des in Bedrängnis geratenen autoritären Systems ihre Opponenten ausschalteten, führe der Film eindrücklich vor Augen. Robert Wieckiewicz spiele den Innenminister Kiszczak als dem politischen Hauptverantwortlichen als eiskalten, skrupellosen Apparatschik, der sich innerhalb des Ministerrats gegen Widersacher durchsetzt und auch die rechtstreuen, unbestechlichen Staatsanwälte durch ihm ergebene Marionetten austauscht. Auch Schauspieler wie Tomasz Kot als Geheimdienst-Scherge oder Andrzej Chyra als Parteisekretär würden viel zum Gelingen des packenden Historiendramas beitragen. Es gelinge der Inszenierung, die bedrückende Atmosphäre in der polnischen Gesellschaft während des Kriegsrechts nachzuzeichnen. Während die jungen Männer im hellen Frühlingslicht zu Beginn des Films noch fröhlich scherzen und Pläne für ihr weiteres Leben entwerfen, zeitigten die bedrückenden Ereignisse eine ganz andere Form: „Die Bilder sind so düster wie die Orte, in denen sich die Figuren bewegen“. So glichen die polnischen Amtsstuben den Interieurs der Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg.[20]

Ungesühnte Schläge wurde von Polen als Beitrag für die Oscarverleihung 2022 in der Kategorie Bester Internationaler Film eingereicht.[21] In Folgenden weitere Nominierungen und Auszeichnungen.

Regisseur Jan P. Matuszyński

Filmfestival Cottbus 2021

Göteborg International Film Festival 2022

  • Nominierung im International Competition[24]

Internationale Filmfestspiele von Venedig 2021

Palm Springs International Film Festival 2022

Polnisches Filmfestival Gdynia 2021

  • Nominierung für den Goldenen Löwen
  • Auszeichnung mit dem Silbernen Löwen (Jan P. Matuszyński)
  • Auszeichnung für das Beste Szenenbild (Paweł Jarzębski)[26]

Polnischer Filmpreis 2022

Taipei Film Festival 2022

  • Nominierung im International New Directors Competition[27]

Einzelnachweise

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  1. a b Leave No Traces. In: festiwalgdynia.pl. Abgerufen am 1. August 2021.
  2. Vor 23. Jahren wurde in Polen das Kriegsrecht verhängt. In: dw.com, 13. Dezember 2004.
  3. Kriegsrecht in Polen. In: wissenschaft.de. Abgerufen am 26. Juli 2021.
  4. a b Daniel Schneider: Kriegsrecht in Polen. In: planet-wissen.de. Abgerufen am 26. Juli 2021.
  5. Andreas Mix: Kriegserklärung an die eigene Gesellschaft. In: Die Zeit, 12. Dezember 2011.
  6. Żeby nie było śladów. Sprawa Grzegorza Przemyka. In: lubimyczytac.pl. Abgerufen am 26. Juli 2021. (Polnisch)
  7. https://www.polskieradio24.pl/5/1222/Artykul/2812515,Zeby-nie-bylo-sladow-Rez-Jan-P-Matuszynski-to-film-w-ktorym-kazdy-moze-sie-przejrzec
  8. https://www.hollywoodreporter.com/movies/movie-reviews/leave-no-traces-venice-2021-1235008997/
  9. Jens Hinrichsen: Filmfestival Venedig: Starkes Polit-Kino aus Polen. In: monopol-magazin.de, 9. September 2021.
  10. https://www.filmdienst.de/film/details/617704/ungesuhnte-schlage
  11. https://www.hollywoodreporter.com/movies/movie-reviews/leave-no-traces-venice-2021-1235008997/
  12. 'Leave No Traces' Soundtrack Released. In: filmmusicreporter.com, 30. April 2022.
  13. a b The films selected for the 78th Venice Film Festival. In: cineuropa.org, 26. Juli 2021.
  14. https://www.polskieradio24.pl/5/1222/Artykul/2812515,Zeby-nie-bylo-sladow-Rez-Jan-P-Matuszynski-to-film-w-ktorym-kazdy-moze-sie-przejrzec
  15. Leave No Traces / Żeby nie było śladów. In: exground.com. Abgerufen am 30. März 2022.
  16. Leave No Traces. In: fest.rs. Abgerufen am 3. März 2022.
  17. Jochen Müller: Nicolette Krebitz' Berlinale-Beitrag „A E I O U“ zur Eröffnung bei Crossing Europe. In: Blickpunkt:Film, 30. März 2022.
  18. Ungesühnte Schläge in der arte Mediathek, 20. November 2024 (bis 19. Dezember 2024). Abgerufen am 21. November 2024.
  19. Ungesühnte Schläge. Polit- und Justizdrama, angesiedelt im Polen der 1980er - bis 19.12. in der arte-Mediathek im TV-Programm des Filmdienst (mit Link zur Kritik). Abgerufen am 21. November 2024.
  20. https://www.filmdienst.de/film/details/617704/ungesuhnte-schlage
  21. K.J. Yossman: 'Leave No Traces' Set to Represent Poland in International Oscar Competition. In: Variety, 3. September 2021.
  22. Cottbus beim Gdynia Film Festival. In: filmfestivalcottbus.de. Abgerufen am 30. März 2022.
  23. 107 Mothers überzeugt beim 31. FilmFestival Cottbus. (Memento des Originals vom 7. November 2021 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.filmfestivalcottbus.de In: filmfestivalcottbus.de. Abgerufen am 7. November 2021.
  24. Leave No Traces. In: goteborgfilmfestival.se. Abgerufen am 12. Januar 2022.
  25. Patrick Hipes: Palm Springs Film Festival Sets 2022 Lineup; Roger Michell’s Final Film 'The Duke' To Close Fest. In: deadline.com, 7. Dezember 2021.
  26. Leave No Traces. In: festiwalgdynia.pl. Abgerufen am 26. Juli 2021.
  27. 24th Taipei Film Festival – International New Directors Competition 2022. In: asianfilmfestivals.com, 16. Mai 2022.