Stanisław Jerzy Lec (6. März 1909 als Baron de Tusch-Letz in Lemberg, Königreich Galizien und Lodomerien/Österreich-Ungarn; † 7. Mai 1966 in Warschau) war ein polnischer Lyriker und Aphoristiker.
) (*Lec stammt aus einer adlig-großbürgerlichen Familie, die in Czortków in Galizien ansässig gewesen war. Stanisław war das einzige Kind von Baron Benno Letz de Tusch, eines Großgrundbesitzer und Bankdirektors, und seiner Ehefrau Adéle, die als Tochter von Jan de Safrin von sephardischen Juden abstammen soll. Die Schreibweise Letz entspricht den k.u.k. Urkunden. Beide Eltern konvertierten zum Protestantismus.
Kurz nach dem Tod des Vaters 1914 begann der Erste Weltkrieg. Als die Kaiserlich Russische Armee die Schlachten in Galizien gewann, was zur Besetzung von Ostgalizien samt Lemberg führte, floh die Familie zu Verwandten nach Wien. Erst nach dem Kriegsende kehrten sie zurück nach Lemberg, das zwischenzeitlich zur Westukrainischen Volksrepublik gehört hatte, nach dem Polnisch-Ukrainischen Krieg aber im November 1918 Teil der Zweiten Polnischen Republik geworden war und nun Lwów hieß, ab 1921 Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft.
Nach der Evangelischen Oberschule machte Lec 1927 am Kamerlinga-Gymnasium das Abitur und studierte bis 1933 an der dortigen Jan-Kazimierz-Universität erst Polonistik und dann Jura, mit einem Abschluss als „Magister juris“. Im selben Jahr erschien 1933 sein erster Gedichtband Barwy (Farben). Aufgrund seiner sozialpolitischen bzw. sozialistischen Ansichten von der Polizei als „unzuverlässig“ betrachtet, verließ er 1934 angesichts der propagierten „Jagd auf Linke“ seine Heimatstadt und ging nach Warschau. Dort schrieb er als Lyriker und auch als Satiriker für verschiedene Blätter wie Szpilki (=Nadeln), Sygnały, Lewar, Lewy Tor, Cyrulik Warszawski, Skamander und Czarno na Białem, die zu einem Teil der linken intellektuellen Szene zuzuordnen sind. 1935 wurde in Warschau sein zweiter Gedichtband unter dem Titel Zoo: wiersze satyryczne (Zoo: satirische Gedichte) veröffentlicht, mit den 1936 folgenden Satyry patetyczne (Pathetische Satiren) erreichte er seinen ersten stilistische Höhepunkt. Sein zeitweiser Aufenthalt in Podilla schlug sich im Manuskript von Ziemia pachnie (Die Erde riecht) (Ziemia pachnie) nieder, doch der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verhinderte das Erscheinen.
Dem Überfall auf Polen durch die Wehrmacht am 1. September 1939 folgte per deutsch-sowjetischem Nichtangriffspakt kurz darauf die sowjetische Besetzung Ostpolens. Lec, der von Warschau zurück nach Lemberg geflohen war, befand sich nun hinter der von der Roten Armee vollzogenen Curzon-Linie. Er unterstützte das Referendum vom 19. November 1939 für die Eingliederung des historisch immer wieder umstrittenen „Grenzlandes“ in die Belorussische und die Ukrainische SSR und begann für die sowjetische Propaganda in seiner nun westukrainischen Heimat zu arbeiten. 1940 trat der dem Schriftstellerverband der Ukraine bei. Der Einmarsch deutscher Truppen beim Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 führte zu seiner Verhaftung. In einKonzentrationslager bei Tarnopol gebracht, versuchte er wiederholt zu fliehen, sollte sich im Juli 1943 zur Erschießung sein eigenes Grab schaufeln, konnte jedoch mit dem Spaten seinen deutschen Bewacher erschlagen und mittels dessen Uniform entkommen. Er floh durch das nun errichtete Generalgouvernement wieder zurück nach Warschau und schloss sich dort der Untergrundbewegung, später dann den polnischen Partisanen in der Woiwodschaft Lublin an.
Lec war Mitglied der kommunistischen Arbeiterpartei Polens (Polska Partia Robotnicza) und deren bewaffneten Widerstandes, der Gwardia Ludowa/Armia Ludowa, und wurde in der 1. Polnische Armee bis zum Rang eines Majors befördert sowie mehrfach dekoriert. Nach der Befreiung arbeitete Marcel Reich-Ranicki unter dem 35-jährigen Lec in einer Propaganda- und Übersetzungseinheit der polnischen Volksarmee[1]
1945 wirkte er bei der Neugründung der satirischen Zeitschrift Szpilki mit und gab 1946 Gedichte in dem Band Notatnik polowy (Feldnotizbuch) heraus. Im selben Jahr veröffentlichte er den Satireband Spacer cynika (Spaziergang eines Zynikers).
1949 bis 1950 lebte Lec als Presseattaché in Wien. 1948 veröffentlichte er Życie jest fraszką (Das Leben ist ein Scherzgedicht), 1950 Nowe wiersze (Neue Gedichte), die bereits 1949 teilweise in Wien unter dem Titel Über Brücken schreitend auf Deutsch erschienen waren. Er beobachtete jedoch besorgt von Wien aus, wie der damals stalinistisch geprägten polnischen Staat in der Ära von Bolesław Bierut den beklemmenden Anspruch, die Menschen tiefgreifend kontrollieren und drangsalieren zu wollen, immer weiter verstärkte. Seiner Abberufung kam er durch die Übersiedlung seiner Familie nach Israel zuvor, kehrte jedoch 1952 mit seinem Sohn nach Warschau zurück. Mit einem Veröffentlichungsverbot belegt, wandte sich Lec der Übersetzung von deutschen, russischen, weißrussischen und ukrainischen Dichtern zu. Die Gedichte aus seiner Zeit in Israel erschienen 1956 in der Rękopis jerozolimski (Jerusalemer Handschrift). Mit den polnischen Ereignissen im Oktober 1956, die zu einer Liberalisierung der stalinistischen Politik Polens führten, begann seine Karriere als polnischer Aphoristiker.
Inspiriert wurde Lec auch durch seine Übersetzungen von Gedichten von Goethe, Grillparzer, Lessing, Morgenstern und vor allem von Heine, aber auch Kraus und Ringelnatz. Er selber liebte den epigrammhaften Stil, auf Polnisch fraszką genannt. Neben den Unfrisierten Gedanken (1959) veröffentlichte er Aus tausendundeinem Scherzgedicht (1959), Ich spotte und fragte nach dem Weg (1959), An Abel und Kain (1961), Steckbrief (1963), Gedichte auf dem Sprung (1964). 1964 erschienen auch die Neuen unfrisierten Gedanken und 1966 Epigrammlese.
Längere Zeit an Magenkrebs leidend, starb Lec am 7. Mai 1966 in Warschau an Magenkrebs. Er erhielt ein Staatsbegräbnis mit militärischen Ehren und wurde auf dem Militärfriedhof Powązki in Warschau beigesetzt.
Seine Popularität in Deutschland beruht auf den von Karl Dedecius kongenial übersetzten, in mehreren Folgen (und späteren Zusammenstellungen) seit 1959 im Carl Hanser Verlag München verlegten Unfrisierten Gedanken – der Titel ist ein Zitat von und gleichzeitig eine Verneigung vor Heinrich Heine. In den 1970er Jahren, der Zeit der beginnenden freundlicheren Ostpolitik der Bundesrepublik Deutschland, wurden regelmäßig in der ZEIT eine Handvoll Aphorismen des damals schon verstorbenen Lec veröffentlicht. Die 1978 in der DDR erschienene Auswahl war dort eine gesuchte Rarität, wie auch im gleichen Jahr die russische Übersetzung in der Sowjetunion.
Seine zahlreichen Aphorismen, ursprünglich in zumeist in Zeitschriften veröffentlicht, werfen nicht nur ein ironisches Bild auf menschliche Schwächen und Eitelkeiten, sondern auch ein messerscharf kritisches, teils sehr sarkastisches Licht auf alle (sich wiederholenden) Formen autokratischen Denkens und Handelns.
„Es gibt bei bei Lec Parallelen und Pointen, Techniken und Wortspiele à la Lichtenberg, Ebner-Eschenbach, Ringelnatz, Kästner, Kraus, aber niemals ohne schöpferische Eigenleistung, ohne triftige akute Bezüge oder Bilder. Wo Lichtenberg die anmutige Ironie eines gelehrten Kauzes, Karl Kraus die Bissigkeit eines Misanthropen kennzeichnet, ist Lec die melancholische Menschenfreundlichkeit eigen, das Lächeln mit der Träne im Auge.“ Karl Dedecius[2]
„Er hat noch anderes geschrieben, aber die Unfrisierten Gedanken haben seinen Ruhm begründet. Es ist nämlich ein Buch, von dem jeder zivilisierte, nachdenkliche Mensch jeden Abend drei oder vier Zeilen lesen sollte, bevor er einschläft (wenn er es dann noch kann).“ Umberto Eco[3]
... und quasi sein eigener Nachruf:
Originalausgaben:
Personendaten | |
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NAME | Lec, Stanisław Jerzy |
ALTERNATIVNAMEN | Tusch-Letz, Stanisław Jerzy de (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | polnischer Lyriker und Aphoristiker |
GEBURTSDATUM | 6. März 1909 |
GEBURTSORT | Lemberg, heute Ukraine |
STERBEDATUM | 7. Mai 1966 |
STERBEORT | Warschau, Polen |