Éric Vuillard

Eric Vuillard (2016)

Éric Vuillard [eˈʀik vyˈjaʀ] (* 4. Mai 1968 in Lyon, Frankreich) ist ein französischer Autor und Filmemacher. 2017 wurde ihm der Prix Goncourt für seinen Roman Die Tagesordnung zuerkannt.

Éric Vuillard wurde während der Revolte vom Mai 1968 in Lyon geboren. Seine Familie stammt aus der Franche-Comté nahe Lons-le-Saunier. Er berichtet, dass ihm seine Mutter vom Balkon aus seinen Vater auf den Barrikaden zeigte. Vuillard besuchte verschiedene Schulen, bis sein Vater, ein Chirurg, beschloss, in einem verlassenen Bergdorf zu leben. Als Jugendlicher reiste er mit Villon und Rimbaud im Rucksack nach Spanien und Portugal. Später studierte er Jura, Politikwissenschaft, Philosophie, Anthropologie und Geschichte unter der Leitung von Jacques Derrida an der Elitehochschule EHESS (École des hautes études en sciences sociales). Nach seinem Abschluss ging er nach Rom. Mit 31 Jahren veröffentlichte er seinen ersten Text. Er ging wieder auf Reisen, diesmal nach Mexiko und Peru. Er lebt mit seiner Frau in Rennes in der Bretagne.

Vuillard im Jahr 2014

Éric Vuillard veröffentlichte seinen ersten Band mit Erzählungen im Jahre 1999, dem bis heute mehrere Poesiewerke, Romane und weitere Erzählungen folgten. Der Autor ist bekannt für seine Methode, Geschichte in kurzen Momenten zu kondensieren und neu zu erzählen.[1] So erzählte er in Conquistadors (2009) von der Eroberung des Inkareichs in Perus Anden durch Pizarro, in Congo (2012) von der Berliner Kongokonferenz (1884–1885)[2][3][4], in Tristesse de la terre (2014) von Buffalo Bill und dem Wilden Westen[5][6] und in 14 juillet (2016) von der Französischen Revolution. Im deutschsprachigen Raum wurde Vuillard insbesondere durch La Bataille d’Occident (2012) bekannt, das 2014 in Deutschland unter dem Titel Ballade vom Abendland erschien und den Ersten Weltkrieg thematisiert. Dabei werden die historisch bekannten Details zu Teilen in einem Puzzle, das neue Zugänge eröffnet. Mit atemberaubenden, musikalisch-poetisch komponierten Assoziationen verbindet Vuillard die große Politik mit dem Elend der Schützengräben.[7]

2017 erhielt Vuillard für L’ordre du jour (dt.: Die Tagesordnung) den Prix Goncourt zuerkannt. In dem Buch schildert er das Geheimtreffen Adolf Hitlers am 20. Februar 1933 mit Vertretern der deutschen Großindustrie sowie den Anschluss Österreichs 1938 und rückt willfährige Politiker wie Kurt Schuschnigg in den Mittelpunkt.[1][8]

Im 2019 auf Deutsch erschienenen Buch 14. Juli, einer Mischung aus Roman und Essay, erzählt Vuillard vom Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789. Ihm geht es dabei nicht um eine systematische Schilderung von geschichtlichen Abläufen, sondern um das Imaginieren von Gefühlen, Stimmungen und besonderen Momenten der Historie. Wo die Quellen schweigen, erzählt Vuillard so, als ob die Fiktion wahrer wäre als die historischen Ereignisse.[9]

Im 2022 publizierten Une sortie honorable wendet sich Vuillard dem französischen Kolonialismus in Indochina und dem Vietnamkrieg zu; der Titel spielt auf die Hoffnung Frankreichs an, der Schmach einer Niederlage zu entgehen,[10]

Neben der Arbeit als Schriftsteller schrieb Vuillard am Drehbuch zum Spielfilm Verraten und verkauft (2002) von Philippe Grandrieux mit. 2009 übernahm er Regie und Drehbuch an dem Spielfilm Mateo Falcone mit Hiam Abbass, nach der gleichnamigen Erzählung von Prosper Mérimée.

Der kongolesische Choreograph und Regisseur Faustin Linyekula hat Vuillards Text Congo für sein Stück adaptiert und 2019 bei der Ruhrtriennale aufgeführt.[11]

Die Zeitschrift Psychotherapie im Dialog schreibt unter der Rubrik Lesenswert: Das auffälligste Mittel in der Literatur der Verknappung ist das Genre der Novelle. Und wie kein Zweiter stellte der Autor Stefan Zweig – besonders in den „Sternstunden der Menschheit“ – eine einzigartige Sammlung solcher verknappten Weltereignisse zusammen. Das Werk blieb lange unübertroffen. Aber seit geraumer Zeit gibt es einen legitimen Nachfolger dieser Kunst des Erzählens und der heißt Éric Vuillard.[12]

Ob „die Geschichte … vor dem Spektakel in die Knie“ geht, fragt sich Thomas Lang zusammen mit Vuillard und kommt zu dem Schluss: Um dieses Problem kreisen in gewisser Hinsicht Vuillards Bücher. Mehr als ein Wortspektakel vermag auch er nicht aus dem überlieferten Material zu machen. So gesehen ist er selbst ein Buffalo Bill der Literatur – ein Nachinszenierer, Beleuchter, Bebilderer. Allerdings bietet er uns an, mit ihm über sein Material nachzudenken, und die Aussicht besteht, dass er sich nicht wie der alte Amerikaner in seine eigene Version der Geschichte verirrt.[13]

Preise und Auszeichnungen

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  • 2010: Prix de l'inaperçu für den Roman Conquistadors.
  • 2012: Franz-Hessel-Preis[14]
  • 2013: Prix Valery-Larbaud für Kongo und Ballade vom Abendland[15]
  • 2017: Prix Goncourt für L’ordre du jour
  • 2017: Prix Alexandre-Vialatte
  • 2021: Nominierung von The War of the Poor für den International Booker Prize (Shortlist)

Veröffentlichungen

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  • 2002: Verraten und verkauft (Originaltitel: La Vie nouvelle, Drehbuch)
  • 2006: L'Homme qui marche (Regie und Drehbuch)
  • 2009: Mateo Falcone (Regie und Drehbuch)
Commons: Éric Vuillard – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. a b Dirk Fuhrig: Wichtigster französischer LiteraturpreisWer gewinnt den Prix Goncourt?, deutschlandfunkkultur.de, 6. November 2017, abgerufen am 6. November 2017.
  2. Deutschlandfunk 25. Mai 2015: Erzählung. Als Europa Afrika unter sich aufteilte
  3. Deutschlandfunk 26. Februar 2010: Auf Kosten Afrikas
  4. Neue Zürcher Zeitung 24. Juni 2015: Rhapsodie in Schwarz
  5. Bayerischer Rundfunk 11. Juli 2017: "Traurigkeit der Erde". Éric Vuillard über Buffalo Bill Cody (Memento vom 30. März 2018 im Internet Archive)
  6. literaturkritik.de 17. Oktober 2017: How the West Was Won. In „Traurigkeit der Erde“ thematisiert Éric Vuillard die massentaugliche Inszenierung des Genozids an den nordamerikanischen Indianern
  7. literaturkritik.de 18. Juli 2014: Der letzte Spaziergang auf dem Chemin des Dames. Éric Vuillard hat mit seiner „Ballade vom Abendland“ eine faszinierende Rhapsodie über den Ersten Weltkrieg geschrieben
  8. Deutschlandfunk 29. März 2018: Éric Vuillard "Die Tagesordnung". Was Hitler stark machte
  9. Eric Vuillard: "14. Juli" - Sturm auf die Bastille. Abgerufen am 10. Mai 2020 (deutsch).
  10. Kai Nonnenmacher: Niemandem den Krieg erklärt: zu Eric Vuillard, Une sortie honorable. In: Rentrée littéraire: französische Literatur der Gegenwart. 16. Februar 2022, abgerufen am 17. Februar 2022.
  11. Anne Horstmeier: Congo: Eine Erzählung von Kummer und Wut in Duisburg. waz, 29. August 2019, abgerufen am 1. September 2019.
  12. Éric Vuillard: Die Tagesordnung. „Nichts ist unschuldig in der Kunst des Erzählens.“ Psychotherapie im Dialog 04/2018, 18. April 2018, abgerufen am 10. September 2019.
  13. Das Schauspiel der Geschichte. Volltext, 8. Mai 2019, abgerufen am 10. September 2019.
  14. Zwei Vertiefer. Franz-Hessel-Preis verliehen, FAZ, 22. Januar 2013, S. 32
  15. Prix Valery-Larbaud auf ville-vichy.fr
  16. Denis in der Übersetzer-Datenbank, Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke, VdÜ, 2019
  17. Andreas Kilb: Warum können Deutsche das nicht? FAZ, 5. April 2014, S. 13. Auch als E-Book