Arnulf Rainer wuchs gemeinsam mit einem Zwillingsbruder auf, der als Kind ursprünglich Maler werden wollte, dann aber Jurist wurde. Bereits in der ersten Klasse der Volksschule fiel Arnulfs künstlerische Begabung auf.[1] Er besuchte von 1940 bis 1944 die Napola Traiskirchen. Er verließ die Schule, weil er von einem Kunsterzieher gezwungen wurde, nach der Natur zu zeichnen.
1947 sah er zum ersten Mal internationale zeitgenössische Kunst bei einer Ausstellung des British Council in Klagenfurt (Paul Nash, Francis Bacon, Stanley Spencer, Henry Moore). Auf Wunsch seiner Eltern studierte er ab 1947 an der Bundesgewerbeschule in Villach Hochbau und machte 1949 den Abschluss. Im gleichen Jahr wurde er an der Akademie für angewandte Kunst in Wien aufgenommen, die er wegen einer künstlerischen Kontroverse mit dem Assistenten Rudolf Korunka bereits nach einem Tag wieder verließ. Kurz darauf bewarb er sich an der Wiener Akademie für bildende Künste, verließ aber auch diese Klasse drei Tage nach bestandener Aufnahmeprüfung, da seine Arbeiten als „entartet“ bezeichnet wurden.
Zusammen mit Ernst Fuchs, Anton Lehmden, Arik Brauer, Wolfgang Hollegha, Markus Prachensky und Josef Mikl gründete er 1950 die Hundsgruppe, mit der er 1951 zum ersten (und einzigen) Mal ausstellte. Die Ausstellung fand in den Räumen der Wiener Gesellschaft für Wissenschaft und Kunst statt. Zusammen mit Maria Lassnig besuchte er im Sommer 1951 André Breton in Paris. Im Februar 1952 präsentierte Rainer seine Arbeiten in der Galerie Kleinmayr in Klagenfurt. Im März desselben Jahres erhielt er eine Einzelausstellung in der Zimmergalerie Franck in Frankfurt am Main,[2] die heute als eine der ersten Manifestationen des Informel in Mitteleuropa gilt. Im dazu veröffentlichten Katalog wurden Rainers Textmanifeste „Malerei um die Malerei zu verlassen“ und „Das Eine gegen das Andere“ abgedruckt.
1953 lernte Rainer in Wien den katholischen Priester Otto Mauer kennen, der ein Jahr später die Galerie nächst St. Stephan gründete, mit der er die österreichische Avantgarde entscheidend förderte. Im November 1955 eröffnete Mauer Rainers erste Einzelausstellung in der Galerie St. Stephan. Wolfgang Hollegha, Markus Prachensky, Josef Mikl und Arnulf Rainer gründeten 1956 die Malergruppe „Galerie St. Stephan“ unter der Leitung von Otto Mauer.
In den Jahren 1953 bis 1959 lebte Rainer zurückgezogen in einer möbellosen, verlassenen Villa seiner Eltern in Gainfarn bei Bad Vöslau, gelegen 25 Kilometer südlich von Wien. Dort begann er die Werkgruppe der Reduktionen, die als Vorstufe seiner weltberühmten Übermalungen gilt. Im September 1959 gründete er mit Ernst Fuchs und Friedensreich Hundertwasser das „Pintorarium“ als „Crematorium zur Einäscherung der Akademie“,[3] es blieb bis 1968 bestehen.
1961 wurde Arnulf Rainer in Wolfsburg wegen der öffentlichen Übermalung eines prämierten Bildes gerichtlich verurteilt. Ab 1963 arbeitete er in verschiedenen Studios in West-Berlin, München und Köln. 1966 erhielt er, gemeinsam mit Gotthard Muhr, den österreichischen Staatspreis für Graphik.[4] 1967 bezog er ein großes Atelier in der Mariahilfer Straße in Wien. Ein Jahr später fand im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien seine erste Retrospektive statt.
Rainer sollte 1974 der Kunstpreis der Stadt Wien verliehen werden, da er aber die Teilnahme an der Übergabezeremonie verweigerte, wurde ihm der Preis wieder aberkannt.[5] 1977 nahm er an der documenta 6 teil, ein Jahr später vertrat er Österreich bei der Biennale von Venedig. Im November 1978 erhielt er den Großen Österreichischen Staatspreis „in Würdigung seines Schaffens auf dem Gebiete der bildenden Kunst“. 1980 erwarb Rainer seine Ateliers in Oberösterreich und Bayern. 1981 erhielt er eine Professur an der Akademie der bildenden Künste in Wien und wurde Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. Seit 1978 ist er Mitglied des Österreichischen Kunstsenates.
1995 ließ er sich auf eigenen Wunsch emeritieren, nachdem Unbekannte in seinem Atelier in der Akademie mehrere seiner Bilder schwarz übermalt hatten. Auf einem Bild stand dann das Statement: „UND DA BESCHLOSS ER AKTIONIST ZU SEIN“.[6][7][8] Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Rainer, er hätte seine Bilder selbst übermalt. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Zu seinem 90. Geburtstag im Dezember 2019 bezeichnete Rainer einen Studenten als Täter ohne dessen Namen zu nennen.[9]
Anlässlich seines 70. Geburtstages organisierten das Stedelijk Museum in Amsterdam und das Kunstforum in Wien eine große Retrospektive. Seit 2002 widmet die Pinakothek der Moderne in München Rainer einen eigenen Raum, in dem einige seiner Werke permanent gezeigt werden. Im darauf folgenden Jahr erhielt Rainer, nach Georg Baselitz und Sigmar Polke, den Rhenus-Kunstpreis für sein Gesamtwerk. 2004 wurde Rainer Ehrendoktor der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und 2006 wurde ihm das Ehrendoktorat der Theologie der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz verliehen. Als erster nichtspanischer Künstler erhielt er 2006 den Aragón-Goya Preis für sein Lebenswerk und seine künstlerische Verwandtschaft zu Francisco de Goya.
Den größten Teil des Jahres lebt und arbeitet Rainer in Enzenkirchen. Einen Teil eines Bauernhofes hat er zu einem Atelier für seine Arbeit umgebaut. Im Winter arbeitet er auf Teneriffa.
Nach anfänglicher Hinwendung zum Surrealismus näherte sich Rainer dem Tachismus und dem Informel an. Seit Beginn der 1950er Jahre übermalt er eigene und fremde Bilder sowie Fotos. Hierbei sind besonders Fotoübermalungen von Selbstporträts bekannt geworden, die als Face Farces bezeichnet werden. Seine ersten Übermalungen von fremden Bildern nahm er aus Materialmangel vor. 1958 bis 1963 stellten ihm Sam Francis, Georges Mathieu, Emilio Vedova, Victor Vasarely und viele andere Künstler Arbeiten zum Übermalen zur Verfügung.
Ab Mitte der 1970er Jahre wandte er sich einer gestischen Fuß- und Fingermalerei zu. Zur selben Zeit entstanden, inspiriert von anderen Künstlern, zahlreiche Serien von „Kunst über Kunst“: Rainer überarbeitete Fotos nach Gustave Doré, Anton Maria Zanetti, Leonardo da Vinci, Franz Xaver Messerschmidt und anderen. Der „Hiroshima-Zyklus“, eine Serie von Zeichnungen und Fotos der zerstörten Stadt, wurde ab 1982 in siebzehn europäischen Städten gezeigt. In seinem Spätwerk beschäftigt sich Rainer intensiv mit der Fotografie, zuerst um Vorlagen für seine Überarbeitungen zu haben, später werden sie dann nicht mehr übermalt und sind eigenständige Arbeiten.
Vertikale, Mischtechnik (Ölkreise, Ölfarbe, Fixationsbesprühung), 73,5 × 105 cm, 1963 (Eigentum der Artothek des Bundes, Dauerleihgabe im Belvedere Wien)
O. T., Kruzifikation, Öl auf Holz mit Corpus, 214 × 123 cm, 1980/1983 Petrikirche Lübeck
Georg F. Schwarzbauer: Arnulf Rainer. Das Sammlerporträt, 19. Folge. In: Kunstforum International 26 (1978), S. 222–231.
Otto Breicha (Hrsg.): Arnulf Rainer: Hirndrang. Selbstkommentare und andere Texte zu Werk und Person. Verlag Galerie Welz, Salzburg 1980, ISBN 3-85349-076-X.
Peter Iden, Rolf Lauter: Bilder für Frankfurt (= Bestandskatalog Museum für Moderne Kunst). Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-7913-0702-9, S. 120–121, 187–191.
Otmar Rychlik: Arnulf Rainer. Schriftbildnereien. Ausstellungskatalog. Wien 1986.
Otmar Rychlik: Arnulf Rainer. Naturgeschichte. Ausstellungskatalog. Wien 1987, ISBN 3-900464-57-1.
Otmar Rychlik: Arnulf Rainer. Ballett. Ausstellungskatalog. Baden bei Wien 1989.
Otmar Rychlik (Hrsg.): Raineriana. Aufsätze zum Werk von Arnulf Rainer. Böhlau, Wien u. a. 1989, ISBN 3-205-05259-5.
Wieland Schmied: GegenwartEwigkeit. Spuren des Transzendenten in der Kunst unserer Zeit. Ausstellungskatalog. Edition Cantz, Stuttgart 1990, ISBN 3-89322-179-4.
Otmar Rychlik: Die Totenmaskenüberarbeitungen von Arnulf Rainer. Wien 1991, ISBN 3-85449-015-1.
Andreas Hoffer (Hrsg.): St. Stephan. Wolfgang Hollegha, Josef Mikl, Markus Prachensky, Arnulf Rainer. Galerie im Schömerhaus Klosterneuburg. Edition Sammlung Essl, Klosterneuburg 2004, ISBN 3-902001-16-X.
Gerd Presler: Attackiert in Wut und Trauer. Attacked in Anger and Grief. In: Ders. : Das Skizzenbuch. Glücksfall der Kunstgeschichte. Karlsruhe/Weingarten 2017, ISBN 978-3-00-056940-1, S. 156–161.
Helmut Friedel, Hannelore Ditz, Clara Ditz-Rainer (Hrsg.): Arnulf Rainer. Rosarot Himmelblau. Hirmer Verlag, München 2023, ISBN 978-3-7774-4162-7.
Nick Böhnke: Formgeschehen und Körperschema. Arnulf Rainer in der Sammlung Domnick. In: Klaus Gereon Beuckers, Charlott Hannig (Hrsg.): Die Sammlung Domnick. Ihr Bestand und ihre Bedeutung für die Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg. Stuttgart 2023, S. 141–153.
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Harald Fricke: Kunst im Nebel der Subversion. Viel Spekulationen und Verschwörungstheorien: Lutz Dammbeck begibt sich mit seinem Film „Das Meisterspiel“ auf die Fährte gescheiterter Existenzen im zeitgenössischen Kunstbetrieb. In: die tageszeitung. 11. Februar 1999, S.20 („die 27 Gemälde des Wiener Akademieprofessors Arnulf Rainer, die 1994 von Unbekannten in seinem Atelier schwarz übermalt wurden. Am Tatort blieb nur ein Statement zurück: ‚Und da beschloß er, Aktionist zu sein.‘“ Anm.: Im Original in Blockbuchstaben und ohne Satzzeichen).
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Markus Wailand: Moderne von rechts. In: Falter. Nr.8/99, 24. Februar 1999, S.71.
↑Irene Netta, Ursula Keltz: 75 Jahre Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München. Hrsg.: Helmut Friedel. Eigenverlag der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München 2004, ISBN 3-88645-157-7, S.211.
↑C. Sylvia Weber (Hrsg.): Kultur bei Würth. Kulturarbeit im Unternehmen. Swiridoff, 2020.
↑C. Sylvia Weber (Hrsg.): Kultur bei Würth. Kulturarbeit im Unternehmen. Swiridoff, 2020.