Die Epidendroideae sind eine Unterfamilie innerhalb der Pflanzenfamilie der Orchideen (Orchidaceae). Mit etwa 18000 Arten in 650 Gattungen stellt sie die größte der fünf Unterfamilien dieser Pflanzenfamilie dar. Sie ist weltweit verbreitet, ihren Verbreitungsschwerpunkt hat sie in den Tropen.
Die große Artenzahl, das weite Verbreitungsgebiet und die unterschiedlichsten Standortbedingungen haben eine große Formenvielfalt hervorgebracht, so dass kaum Merkmale gefunden werden können, die für alle Arten gleichermaßen zutreffen.
Wie bei vielen Orchideenarten handelt es sich um meist kleine, ausdauernde krautige Pflanzen. Das Grundmuster des Wachstums ist sympodial: Das Wachstum der einzelnen Sprossachse ist begrenzt, der Austrieb erfolgt aus basal liegenden Erneuerungsknospen. Zahlreiche Arten – viele davon früher als eigene Unterfamilie Vandoideae aufgefasst – haben ein monopodiales Wachstumsmuster entwickelt.
In dieser Unterfamilie wächst ein großer Teil der Arten epiphytisch, mit entsprechenden Anpassungen. Die Wurzeln sind meist dick, wenig verzweigt und von einem Velamen radicum umgeben. Bei terrestrisch wachsenden Arten kann das Velamen fehlen. Stark modifiziert sind die Wurzeln einiger mykoheterotropher Arten. Die Sprossachse wird meist in ein Rhizom und daraus im Abstand von mehreren Internodien entspringende Sprosse differenziert. Die Sprossachsen sind oft unverzweigt, sie können unverdickt sein oder in verschiedenster Form zu unter- oder oberirdischen Speicherorganen verdickt. Die Laubblätter sind zweizeilig am Spross angeordnet und in der Knospe längs der Mittelrippe gefaltet. Der Blattgrund umfasst den Stängel, zwischen Blattgrund und Blattspreite ist oft ein Trenngewebe angeordnet. Die Blattspreite ist einfach.
Die zwittrigen Blüten sind zygomorph und dreizählig. Die Blütenhüllblätter sind meist nicht miteinander verwachsen. Etwas häufiger kommt dies bei den beiden seitlichen Sepalen und der Lippe vor, die an ihrer Basis miteinander und mit der Säule verwachsen sein können. Das einzige fruchtbare Staubblatt steht am Ende der Säule und ist gegenüber der Säulenachse hinabgebogen. Der Pollen ist zu wachsartigen Pollinien verklebt. Diese sind meist mit einer oder zwei Klebscheiben (Viscidium) verbunden, entweder direkt oder über Stielchen, die teils aus Pollenmasse (Caudiculae), teils aus Gewebe der Säule (tegulare Stipites) gebildet werden. Das Staubblatt ist nur über ein dünnes Verbindungsgewebe mit der Säule verbunden und fällt oft ab, wenn die Pollinien entnommen werden. Die Narbe ist ventral angeordnet (bei einer resupinierten Blüte auf der Unterseite der Säule) und konkav geformt. Der mittlere Narbenlappen bildet ein meist zwei- oder dreilappiges Trenngewebe (Rostellum) zwischen Narbe und Staubblatt.
Die Kapselfrucht enthält zahlreiche kleine Samen. Die Samen sind meist fadenförmige oder zigarrenförmige, selten sind sie geflügelt.
Die Vertreter der Epidendroideae sind fast weltweit verbreitet. Ausnahmen sind die Tundren, die heißen Wüstengebiete Nordafrikas, Arabiens, Namibias und Australiens sowie das südliche, temperate Südamerika. Die meisten Gattungen sind auf ein Florenreich beschränkt, pantropische Gattungen gibt es nur wenige, etwa Bulbophyllum und Polystachya. Die höchste Diversität herrscht in den feuchten Tropen, besonders am Osthang der Anden sowie in Südostasien von Malaysia bis Neuguinea. Die meisten tropischen Epidendroideae leben epiphytisch und erreichen höchste Arten- und Individuendichten in etwas höher gelegenen Nebelwäldern. Die Epidendroideae Madagaskars sind zu über 80 % dort endemisch.
Der Erste, der den Begriff Epidendroideae wählte, um die Familie der Orchideen zu unterteilen, war John Lindley. Auch in den Systematiken Reichenbachs, Benthams und Hookers sowie Schlechters gibt es diese Gruppe, mit inhaltlich nur geringen Unterschieden. Man war sich einig, dass die Gruppen Apostasioideae, Cypripedioideae und Orchidoideae von den Epidendroideae zu unterscheiden seien. Weiter wurde eine Gruppe „Neottioideae“ unterschieden, sowie häufig die „Vandoideae“, letztere auch schon früh als Untergruppe der Epidendroideae aufgefasst.
Dresslers 1993 Weiterentwicklung dieser Systematik gliederte zuerst einen Teil der Neottioideae in die Epidendroideae ein, später auch die Vandoideae. Schwierigkeiten bereiteten die von ihm so genannten „primitiven“ Epidendroideae, die nicht die komplexen Strukturen des Staubblatts zeigen, die hauptsächlich zur Klassifikation herangezogen wurden.[1] Untersuchung molekulargenetischer Merkmale änderten diese Gliederung und ein Teil dieser unklar positionierten Gattungen wurde als eigene Unterfamilie Vanilloideae aus den Epidendroideae ausgegliedert. Als Schwestertaxon der Epidendroideae gelten die Orchidoideae. Als innere Gliederung der Unterfamilie gab Dressler 1993 eine Dreiteilung vor: die Gruppe der „primitiven“ Gattungen, die nicht als Klade verstanden werden sollte, sondern eher als eine Sammlung unsicher positionierter Taxa; eine Gruppe, die er „cymbidioid“ oder nach ihrer vermuteten ursprünglichen Eigenschaft „Knollen besitzend“ nannte; letztlich eine Gruppe „epidendroider“ oder „rohrstämmiger“ Orchideen. Diese Einteilung wurde durch Untersuchungen zwischen 1999 und 2005 nicht bestätigt. Von früheren Einteilungen sind nach DNA-Untersuchungen nur kleinere Einheiten, wie Subtriben und einige Triben, noch haltbar, nicht jedoch grobe Unterteilungen wie „cymbidioid“, „epidendroid“ oder „vandoid“.
Cameron et al. veröffentlichten 1999 eine Systematik der Orchidaceae mit einer Gliederung der Unterfafamilie Epidendroideae der im 21. Jahrhundert nicht gefolgt wurde.[2]
Die Systematik der Unterfamilie Epidendroideae wird auch nach im 21. Jahrhundert auch nach der Momentaufnahme von van den Berg et al. 2005 kontrovers diskutiert.[3]
Pridgeon et al. 2005 benennen eine Reihe von Triben, die Merkmale zeigen, die auch in anderen Unterfamilien der Familie Orchidaceae vorkommen, und die deshalb als „primitiv“ oder „ursprünglich“ gelten.[4] Sie haben keine fest zusammenhängenden Pollinien, kein Trenngewebe am Blattgrund und kein Velamen. Hierher gehören Neottieae, Nervilieae, Triphoreae, Tropidieae und Xerorchideae. Ähnliche Merkmale finden sich bei den Sobralieae. Unklar ist die Position der morphologisch stark reduzierten Gastrodieae.
Die Verwandtschaftsbeziehungen der Triben nach van den Berg et al. 2005:[5]
Epidendreae
Maxillarieae
Vandeae
Collabieae
Podochileae
Calypsoeae
Arethuseae
Dendrobieae
Malaxideae
Die Triben der Unterfamilie Epidendroideae (Stand 2014):[4][6]
Die Tribus TropidieaeDressler enthält nur zwei Gattungen:
CorymborkisThouars (Syn.: CorymbisThouars ex Lindl. nom. superfl., CorymborchisThouars ex Blume orth. var., HysteriaReinw., MacrostylisBreda nom. illeg., RhynchandraRchb., RhynchantheraBlume nom. illeg., TomotrisRaf.): Sie enthält seit 2017 etwa acht Arten.[10]
TropidiaLindl. (Syn.: DecaisneaLindl. ex Wall. nom. nud., ChloidiaLindl., CnemidiaLindl., GovindooiaWight, KalimantanorchisTsukaya, M.Nakaj. & H.Okada, MuluorchisJ.J.Wood, PtychochilusSchauer, SchoenomorphusThorel ex Gagnep.): Sie enthält seit 2017 etwa 32 Arten.[10]
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Robert L. Dressler: Phylogeny and Classification of the Orchid Family. Cambridge University Press, 1993, ISBN 0-521-45058-6.
↑
Kenneth M. Cameron et al.: A phylogenetic analysis of the Orchidaceae: evidence from rbcL nucleotide sequences. In: American Journal of Botany. Volume 86, 1999, S. 208–224.
↑John V. Freudenstein, Mark W. Chase: Phylogenetic relationships in Epidendroideae (Orchidaceae), one of the great flowering plant radiations: progressive specialization and diversification. In: Annals of Botany, Volume 115, Issue 4, 2015, S. 665–681. doi:10.1093/aob/mcu253
↑ abcde
Epidendroideae (Part one). In: Alec M. Pridgeon, Phillip Cribb, Mark W. Chase, Finn N. Rasmussen (Hrsg.): Genera Orchidacearum. 2. Auflage. Band4. Oxford University Press, New York und Oxford 2005, ISBN 0-19-850712-7.
↑ abcdefghi
Cássio van den Berg, Douglas H. Goldman, John V. Freudenstein, Alec M. Pridgeon, Kenneth M. Cameron, Mark W. Chase: An overview of the phylogenetic relationships within Epidendreae inferred from multiple DNA regions and recircumsription of Epidendreae and Arethuseae (Orchidaceae). In: American Journal of Botany. Band92, Nr.4, 2005, S.613–624, doi:10.3732/ajb.92.4.613.
↑ abcde
Alec M. Pridgeon, Phillip Cribb, Mark W. Chase, Finn N. Rasmussen: Epidendroideae (Part 3). In: Genera Orchidacearum. Band6. Oxford University Press, Oxford 2014, ISBN 978-0-19-964651-7, S.1–576 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
↑
W. Mark Whitten, Mario A. Blanco, Norris H. Williams, Samantha Koehler, Germán Carnevali, Rodrigo B. Singer, Lorena Endara, Kurt M. Neubig: Molecular phylogenetics of Maxillaria and related genera (Orchidaceae: Cymbidieae) based on combined molecular data sets. In: American Journal of Botany, Volume 94, Issue 11, 2007, S. 1860–1889. doi:10.3732/ajb.94.11.1860
↑ abcdefghijk
Li Ming-He, Guo-Qiang Zhang Fujian, Zhong-Jian Liu Fujian, Si-Ren Lan Fujian: Subtribal relationships in Cymbidieae (Epidendroideae, Orchidaceae) reveal a new subtribe, Dipodiinae, based on plastid and nuclear coding DNA. In: Phytotaxa, Volume 246, 2016, S. 37–48. doi:10.11646/phytotaxa.246.1.3online.
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Kenneth M. Cameron: Leave it to the leaves: a molecular phylogenetic study of Malaxideae (Epidendroideae, Orchidaceae). In: American Journal of Botany, Volume 92, Issue 6, 2005, S. 1025–1032. PDFdoi:10.3732/ajb.92.6.1025
↑ abc
Rafaël Govaerts, 2019: World Checklist of Vascular Plants (WCVP Database). The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew. Orchidaceae. In: POWO = Plants of the World Online von Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew: Kew Science, abgerufen am 21. Mai 2020.
↑ abcd
Barbara S. Carlsward, W. Mark Whitten, Norris H. Williams, Benny Bytebier: Molecular phylogenetics of Vandeae (Orchidaceae) and the evolution of leaflessness. In: American Journal of Botany. Band93, Nr.5, 2006, ISSN1537-2197, S.770–786, doi:10.3732/ajb.93.5.770.
Epidendroideae im Germplasm Resources Information Network (GRIN), USDA, ARS, National Genetic Resources Program. National Germplasm Resources Laboratory, Beltsville, Maryland. Abgerufen am 9. Mai 2020.
Alec M. Pridgeon, Phillip Cribb, Mark W. Chase, Finn N. Rasmussen: Epidendroideae (Part 2). In: Genera Orchidacearum. Band5. Oxford University Press, Oxford 2009, ISBN 978-0-19-850713-0, S.1–608 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
William Louis Stern: Orchidaceae. In: Mary Gregory, David F. Cutler (Hrsg.): Anatomy of the Monocotyledons. Band10. Oxford University Press, Oxford 2014, ISBN 978-0-19-968907-1, S.1–262 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).