Im Jahr 1949 kam er nach Leipzig und leitete 30 Jahre lang den Rundfunkchor (1949–1978) und das Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig (1958–1978), dessen Ehrendirigent er im Anschluss wurde. Darüber hinaus war er von 1975 bis 1978 Honorarprofessor am Leipziger Konservatorium. Kegel avancierte zum wichtigsten „Orff-Spezialisten“ im deutschsprachigen Raum.[1] Sein Einsatz für zeitgenössische Komponisten machte die Musikmetropole Leipzig zum „Internationalen Schaufenster der Moderne“ (Dirk Stöve[Anmerkung 1]).[2] Von 1977 bis 1985 war er Chefdirigent der Dresdner Philharmonie. Danach wirkte er als Gastdirigent in Japan, wo er heute als eine der bedeutendsten Dirigentenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts wahrgenommen wird.[3]
Herbert Kegel wurde als Sohn von Fritz Kegel und seiner Frau Martha, geborene Mißbach, in Großzschachwitz geboren, das seit 1950 zu Dresden gehört. Sein Vater arbeitete seinerzeit als Hauptmechaniker beim Maschinenbauunternehmen Kelle & Hildebrandt im benachbarten Großluga.[4] Herberts Schwester Ilse wurde 1925 geboren.
Er besuchte von 1927 bis 1935 die Volksschule „An der Aue“ in Dresden und sang unter Pfarrer Drechsel in der evangelisch-lutherischen Kurrende der Stephanuskirche in Kleinzschachwitz. Klavierunterricht erhielt er bei Hanns Voigt. Später wurde er beim Dresdner Kreuzchor unter Rudolf Mauersberger vorstellig, der ihn jedoch unabhängig von seiner sängerischen Begabung für die Aufnahme in den Kreuzchor aus Altersgründen ablehnte.[5] Stattdessen wurde er studienvorbereitend in Klavier und Violoncello an der Akademie für Musik und Theater Dresden unterrichtet.
Herbert Kegel wurde 1939 für den Militärdienst gemustert. Beim anschließenden Einplanungsgespräch lehnte er eine Tätigkeit beim Militärmusikdienst ab.[10] Ein Jahr später wurde er in Bautzen zum Kriegsdienst eingezogen. Er erhielt 1943 eine militärfachliche Ausbildung als Funker. Bis 1945 diente er in der 56. Infanterie-Division, die u. a. im Ostfeldzug eingesetzt war. Während des Krieges komponierte er einige Lieder. Eine Karriere als Pianist musste er allerdings aufgrund einer erlittenen Schussverletzung an der linken Hand beenden.
Aus diesem Grund nahm er nach dem Krieg Dirigierunterricht bei Kurt Striegler, der ihn bereits während der Ausbildung als Dirigent nach Pirna weiterempfahl.[6] 1945 wurde Kegel Dirigent am Operettentheater Pirna, wo er unter anderen mit der Sängerin Gretel Ferschinger zusammenarbeitete. Ab dem 1. August 1946 war er Chorleiter und zweiter Kapellmeister am Stadttheater Rostock. In Rostock lernte er den einflussreichen Kompositionslehrer Rudolf Wagner-Régeny kennen, der seinerzeit Rektor der Rostocker Musikhochschule war. Einige Werke von Wagner-Régeny wurden von Kegel am Stadttheater Rostock aufgeführt.[11] In späteren Jahren dirigierte er dessen Werke auch in Dresden und Berlin. Seine Beziehungen zu DDR-Komponisten der ersten Stunde führten den Musikwissenschaftler Klaus Angermann zu dem Schluss, Kegel habe sich mit dem Sozialistischen Realismus arrangiert.[12]
Der Leipziger Musikwissenschaftler Werner Wolf erinnerte sich 1996 an Kegels „unerbittlich strenge Chorerziehung“ und seine daraus resultierenden „einzigartigen Aufführungen großer oratorischer Werke und Kantaten“.[14]
Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig
Von 1949 bis 1953 war Herbert Kegel zusätzlich Chefdirigent des Großen Rundfunkorchesters. Er wurde 1958 erster Dirigent und zwei Jahre später Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Leipzig, zu dessen Ehrendirigenten er später berufen wurde. Damit war er der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands.[15] Beide Leipziger Dirigiergrößen, Herbert Kegel und der Gewandhauskapellmeister Kurt Masur (ab 1970), schätzten sich sehr. Kegel baute das Rundfunkorchester zu einem der führenden Klangkörper der DDR aus, indem er sich im Vergleich zum Gewandhausorchester und der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die den traditionellen Musikgeschmack der Konzertbesucher ansprachen, einer zeitgenössischen Programmatik bediente.[16]
Mehr als 100 konzertante Opernaufführungen organisierte Kegel mit Walter Zimmer, dem damaligen Oberspielleiter der Leipziger Oper. Sie nahmen Wagners Parsifal, Bergs Wozzeck und Schönbergs Moses und Aron auf den Spielplan. Die Leipziger Volkszeitung titelte: „Pioniertaten für das Musiktheater“.[22] Im Jahr 1961 unterschrieb Kegel einen Gastvertrag mit der Deutschen Staatsoper in Berlin.[23] Er wurde zum gefragten Interpreten der Werke von Carl Orff,[1] der ihn selbst vor allen anderen Dirigenten favorisierte.[24] Ein geplanter Wechsel zur Semperoper in Dresden ließ sich nicht realisieren, weil sich Direktorium und Staatskapelle nicht einigen konnten.
Herbert Kegel suchte nach mehr Gastspielen im Ausland, die mit einem Rundfunkorchester schwer zu vermitteln waren.[25] Der Dirigent Heinz Bongartz setzte sich 1977 für seine Berufung nach Dresden ein.[26] Bis 1985 war Kegel als Nachfolger Günther Herbigs Chefdirigent der Dresdner Philharmonie und danach bis 1990 ständiger Gastdirigent, wobei er in der Saison 1977/78 parallel in Leipzig und Dresden wirkte. Ab 1978 trat er regelmäßig bei den internationalen Dresdner Musikfestspielen insbesondere mit Chorsinfonik auf, wie 1980 mit Ravels L’enfant et les sortilèges (Dresdner Erstaufführung). Mit Wagners Parsifal (1979) belebte er die Wiederentdeckung des umstrittenen Komponisten nach dem Zweiten Weltkrieg in Dresden.[27] Auslandskonzerte mit den Leipziger und Dresdner Orchestern führten ihn in die Sowjetunion, BRD, Schweiz, nach Großbritannien, Frankreich, Italien, Skandinavien, Osteuropa, Japan und in den Nahen Osten.[27]
In der ehemaligen sächsischen Residenzstadt interpretierte er im Gegensatz zu Leipzig, trotz einer engen künstlerischen Zusammenarbeit mit den Komponisten Mikis Theodorakis und Paul-Heinz Dittrich, überwiegend klassische Werke wie die Beethoven-Sinfonien. Der konservative Musikgeschmack des Dresdner Publikums und die tradierte Kulturpolitik der Stadt ließen wenig Raum für die Aufführung neuer Kompositionen.[28] Durch nicht überwindbare programmatische Meinungsverschiedenheiten mit den Funktionären der Stadt und des Orchesters entließ ihn die Stadt Dresden zu seinem 65. Geburtstag in Ehren.[29] Melancholisch notierte er 1985:[30]
„65 ist kein Alter. Trotzdem setzt mich mein Staat auf das Altenteil […] Ich bin gesund, im Jahre 2000 möglicherweise tot. Ich ging nie den Weg des geringsten Widerstandes. Von Lehrern, hier in Dresden Boris Blacher, später in Berlin Paul Dessau, erzogen ging ich gleich ihnen den dornigen Pfad des Fortschritts. Der hat mich jung erhalten. Getreu der Lehre: 2 Schritte vorwärts, einen zurück (um erneut ausholen zu können) acceptiere ich den Beschluss der Oberen dieser Stadt und gehe fristgemäß.“
Neben seiner Tätigkeit als Dirigent hatte er einen Lehrauftrag für „Neue Musik und sinfonische Chorliteratur für Orchester“ inne[31] und hielt nach 1980 Meisterkurse für Dirigieren an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden.
In den 1980er Jahren war er als Gastdirigent in Japan tätig. Herbert Kegel gab sein letztes Konzert mit der Staatskapelle Halle im Oktober 1990 anlässlich der XX. Hallischen Musiktage, wo er Werke von Blacher, Domhardt und Strawinski aufführte.[32] Am 20. November 1990 schied Herbert Kegel nach langer Depression durch Suizid aus dem Leben. Sein Grab befindet sich auf dem Stephanusfriedhof in Dresden-Meußlitz. Der Oboist Burkhard Glaetzner sagte über Kegels Schicksal:[33] „Er war mit sich selbst nie im Reinen, und er ist auch nie ins Reine gekommen.“
Im Jahr 1944 heiratete Kegel eine Jugendfreundin. Mit ihr hatte er drei Kinder.[34] Außerdem war er der leibliche Vater von Uwe Hassbecker (* 1960), Musiker in der Rockband Silly. Seine damalige Freundin, die Opernsängerin Eva Hassbecker, heiratete 1985 den Pianisten und Komponisten Thomas Müller.[35] Von 1966 bis 1983 war Herbert Kegel mit der 18 Jahre jüngeren italienischen Sopranistin Celestina Casapietra verheiratet. Der Sänger (Tenor) und Schauspieler Björn Casapietra (* 1970) entstammt dieser Ehe.
Der Komponist Friedrich Schenker, den er nachdrücklich förderte, sah in Kegel einen Dirigenten „mit Armen wie Chronometer, der die Musik in erster Linie als Arbeit versteht“.[36] Seine Proben waren deshalb von Musikern und Chören gleichermaßen geachtet wie gefürchtet.[37] Beispielsweise dirigierte er sein Orchester bei Proben für Mahlersinfonien oder Schönbergs Gurre-Lieder mehr als zehn Stunden täglich.[38] Man attestierte ihm eine „unprätentiöse Dirigierweise“.[39] Die Juroren des Preises der deutschen Schallplattenkritik würdigten Kegel 1986 wie folgt:[28]
„Herbert Kegel gehört zu den bedeutendsten Dirigentenpersönlichkeiten der Gegenwart. Er hat sich international einen großen Namen gemacht. Besonders gerühmt und geschätzt werden sein klangliches Stilgefühl, die außerordentliche rhythmische Präzision, überhaupt die technische Perfektion seiner von einem energischen Willen kontrollierten, analytischen, dabei stets musikantisch inspirierten Interpretationsweise. Seine intensive Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Musik hat auch seine Wiedergabe klassischer Meisterwerke wesentlich geformt und geprägt, die oft eigenwillig, aber immer erfrischend, persönlich, spontan, profiliert und engagiert ist.“
Als erfahrener Chorerzieher hat er den Rundfunkchor Leipzig zu einem der besten und gefragtesten europäischen Chöre entwickelt, der in der Lage ist, auch komplizierteste Werke der Moderne zu bewältigen.[15] Seine 1000 Rundfunk- und 150 Schallplattenproduktionen sind sein Vermächtnis.[40] Sie dokumentieren 30 Jahre deutscher Musikkultur und sind durch die Repertoirewahl zugleich Ausdruck humanistischer Gesinnung und hoher künstlerischer Meisterschaft. Er spielte mit der Dresdner Philharmonie die weltweit erste Digitalaufnahme des Beethoven-Zyklus ein.[38] Sein Engagement für den Komponisten Carl Orff mündete in mehrere vielbeachtete Aufnahmen wie Trionfi, Die Kluge und Der Mond.[38]
Die Zeitschrift Das Orchester formulierte:[41] „Kegel verstand es meisterhaft – und hierin ähnelt er vielleicht am stärksten Hermann Scherchen –, die Musik der Moderne in Verbindung zum klassischen Erbe zu bringen.“ Andere verglichen ihn mit seinen westdeutschen Kollegen Michael Gielen und Hans Rosbaud.[42] Gelegentlich wurde er auch als „Gielen der DDR“ bezeichnet.[43]
Insbesondere in Japan erlangte er mit dem Leipziger Rundfunkorchester und der Dresdner Philharmonie außerordentliche Beliebtheit. Er wurde seit den 1980er Jahren neben Herbert von Karajan[40] als größter deutschsprachiger Dirigent des 20. Jahrhunderts verehrt.[56] Als Gastdirigent stand er dem NHK-Sinfonieorchester,[57] dem Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra und dem Osaka Philharmonic Orchestra vor. Er wurde in das Buch „Great Musicians on Stage“ der japanischen Fotografin Kinoshita Akira aufgenommen. Im Jahr 1988 war er u. a. mit Seiji Ozawa und Gennadi Roschdestwenski Juror beim „Tokyo International Music Competition for Conducting“.[58]
1967 Preis der chilenischen Musikkritiker als bester ausländischer Interpret der Saison[39]
1968 Chilenischer Kunstpreis (für die Interpretation sämtlicher Sinfonien Beethovens)[39]
1968 Grand Prix du Disque der Akademie Charles Cros (für Kurt Weill: Die sieben Todsünden der Kleinbürger)
1969 Premio della Critica Discografica Italiana (für Kurt Weill: Die sieben Todsünden der Kleinbürger)
1969 zwei Schallplattenpreise der Zeitschrift „Musik und Gesellschaft“ (für Benjamin Britten: War Requiem/für Ernst Hermann Meyer: Toccata Appassionata)
Kegel, Herbert. In: Günther Buch: Namen und Daten wichtiger Personen der DDR. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Dietz, Berlin (West)/Bonn 1987, ISBN 3-8012-0121-X, S. 150.
Kegel, Herbert. In: Walter Habel (Hrsg.): Wer ist wer? Das Deutsche Who’s who. Band 14, Teil 2, Arani, Berlin 1965, S. 156.
Kegel, Herbert. In: John L. Holmes: Conductors on Record. Greenwood Press, Westport 1982, ISBN 0-575-02781-9, S. 327–328.
Kegel, Herbert. In: Stefan Jaeger (Hrsg.): Das Atlantisbuch der Dirigenten. Eine Enzyklopädie. Atlantis-Musikbuch-Verlag, Zürich 1985, ISBN 3-254-00106-0, S. 189.
Kegel, Herbert. In: Volker Klimpel: Berühmte Dresdner. Historisch-biographisches Handbuch bedeutender Persönlichkeiten, geboren in Dresden. Hellerau-Verlag, Dresden 2002, ISBN 978-3-910184-85-5, S. 85.
Kegel, Herbert. In: Juliusz Stroynowski (Hrsg.): Who’s who in the socialist countries of Europe. A biographical encyclopedia of more than 12600 leading personalities in Albania – Bulgaria – Czechoslovakia – German Democratic Republic – Hungary – Poland – Romania – Yugoslavia. Band 2: I – O. Saur, München u. a. 1989, ISBN 978-3-11-186674-1, S. 540.
Fruchtbare Jahre: Herbert Kegel und das RSO Leipzig 1960 bis 1978. In: Jörg Clemen, Steffen Lieberwirth (Hrsg.): Mitteldeutscher Rundfunk. Die Geschichte des Sinfonieorchesters. Kamprad, Altenburg 1999, ISBN 3-930550-09-1, S. 125 ff.
↑Werkverzeichnis, Website von Helmut Zapf, abgerufen am 10. Dezember 2011.
↑Thomas Daniel Schlee, Dietrich Kämper (Hrsg.): Olivier Messiaen: La Cité céleste – Das himmlische Jerusalem. Über Leben und Werk des französischen Komponisten. Wienand, Köln 1998, ISBN 3-87909-585-X, S. 59.
↑ abJörg Clemen; Steffen Lieberwirth: Mitteldeutscher Rundfunk. Die Geschichte des Sinfonieorchesters. Altenburg 1999, S. 126.
↑Nina Noeske: Musikalische Dekonstruktion. Neue Instrumentalmusik in der DDR. Böhlau, Köln [u. a.] 2007, ISBN 978-3-412-20045-9, S. 57.
↑Ratsversammlung vom 18. Mai 2011 (Beschluss-Nr. RBV-822/11), amtliche Bekanntmachung: Leipziger Amtsblatt, Nr. 11 vom 4. Juni 2011, bestandskräftig seit dem 5. Juli 2011 bzw. 5. August 2011. Vgl. Leipziger Amtsblatt, Nr. 16 vom 10. September 2011.