Cédric Villani (* 5. Oktober 1973 in Brive-la-Gaillarde) ist ein französischer mathematischer Physiker und Mathematiker sowie Politiker (bis 2020 LREM). Er war von 2009 bis 2017 Direktor des Institut Henri Poincaré und wurde 2010 mit der Fields-Medaille ausgezeichnet. Von 2017 bis 2022 war er Abgeordneter in der Nationalversammlung.
Villani studierte ab 1992 an der École Normale Supérieure. 1994 erwarb er seine Agrégation, 1998 promovierte er bei Pierre-Louis Lions.[1] Villani ist seit 2001 Professor an der École normale supérieure de Lyon. Von 2009 bis 2017 war er Direktor des Institut Henri Poincaré in Paris. Seit 2007 ist er Mitglied des Institut Universitaire de France.
Villani befasst sich insbesondere mit partiellen Differentialgleichungen aus der statistischen Mechanik, speziell der Boltzmann-Gleichung, wo er als erster Konvergenzsätze für Anfangswerte nicht nahe dem Gleichgewicht beweisen konnte. Dies sind quantitative Versionen (Rate der Relaxation zum Gleichgewicht hin) des H-Theorems von Ludwig Boltzmann. Er befasste sich auch mit Anwendungen der Theorie des optimalen Transports (die Theorie geht auf eine Fragestellung von Monge zurück und wurde insbesondere durch Kantorowitsch entwickelt) in der Differentialgeometrie – insbesondere gab er mit ihrer Hilfe mit John Lott untere Schranken der Ricci-Krümmung in allgemeinen metrischen Räumen (Längen-Räume).[2] Zusammen mit Felix Otto bewies er die HWI-Ungleichung.
Die Fields-Medaille erhielt er in erster Linie für seine Arbeiten zur Boltzmann-Gleichung und zur nichtlinearen Landau-Dämpfung aus den kinetischen Gleichungen der Plasmaphysik (Vlasov-Gleichung). Das entspricht den mathematisch sehr unterschiedlichen Fällen von kinetischen Gleichungen mit Kollision (Boltzmann-Gleichung) und ohne Kollision (Plasmaphysik mit Coulomb-Abstoßung, Astrophysik zum Beispiel von Sternen in Galaxien unter anziehender gravitativer Wechselwirkung). Im Fall ohne Kollision konnte er die Landau-Dämpfung auch im nichtlinearen störungstheoretischen Fall begründen. Die Lösung zeigte auch unerwartete Verbindungen zur KAM-Theorie und dem Phänomen des Plasmaechos und beleuchtete die besondere Rolle der Regularitätsannahmen (der Beweis erfolgte für Gevrey-Regularität und für den periodischen Fall). Der nichtstörungstheoretische Fall (Violent Relaxation) ist weniger gut verstanden. Der Fall der Boltzmanngleichung mit Kollision ist anders gelagert, hier spielt die Entropieproduktion für die Annäherung an das Gleichgewicht eine zentrale Rolle. Villani bewies unter anderem eine Vermutung von Cercignani, wonach die Entropieproduktion mindestens proportional zur Differenz der Entropie der Geschwindigkeitsverteilung und der der Gauß-Verteilung ist. Über die Entstehungsgeschichte seiner Forschungen berichtete er in dem Buch „Das lebendige Theorem“ (Théorème vivant, 2012), das 2013 in deutscher Übersetzung erschien.
Im Februar 2018 übergab er einen umfangreichen Bericht (21 mesures pour l'enseignement des mathématiques, unter Leitung von ihm und Charles Torossian erstellt) an das französische Erziehungsministerium zur Reform des französischen Mathematikunterrichts.[3][4] Im März 2018 legte er den Bericht AI for humanity zur Förderung der künstlichen Intelligenz (KI) vor, mit dessen Erstellung er zuvor von offizieller französischer Seite beauftragt worden war.[5] Der auch Villani Report genannte Text gilt als französische KI-Strategie.[6]
Zu seinen Doktoranden gehören Alessio Figalli und Clément Mouhot.
Villani unterstützte 2014 die Wahl der ersten Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. 2015 berief ihn die Europäische Kommission in die siebenköpfige „High Level Group of Scientific Advisors“.
Bei den Parlamentswahlen in Frankreich 2017 wurde Cedric Villani für Emmanuel Macrons Partei La République en Marche im 5. Wahlkreis des Départements Essonne zum Abgeordneten in der Nationalversammlung gewählt. Er erhielt im ersten Wahlgang 47,5 % und in der Stichwahl 69,4 % der Stimmen.[7][8][9] Von Juli bis November 2017 und erneut von Oktober 2020 bis Juni 2022 war Villani Vorsitzender des Parlamentarischen Amts für die Bewertung wissenschaftlicher und technologischer Entscheidungen (Office parlementaire oder OPECST).
2019 kündigte er seine Kandidatur bei der Wahl zum Bürgermeister von Paris im Frühjahr 2020 an, in Konkurrenz zu dem Kandidaten seiner Partei La République en Marche (LREM), Benjamin Griveaux[10] bzw. nach dessen Rückzug zur Nachfolgekandidatin Agnès Buzyn.[11] Die Villani unterstützende Liste Le Nouveau Paris erhielt bei der Kommunalwahl 7,1 % der Stimmen, aber keinen Sitz im Gemeinderat von Paris. Er selbst errang lediglich einen Sitz im Bezirksrat des 14. Arrondissement von Paris. In der Nationalversammlung schloss er sich der im Mai 2020 gegründeten Fraktion Écologie démocratie solidarité (EDS) an, die aus eher nach links neigenden ehemaligen Mitgliedern der LREM bestand.
Vor der Parlamentswahl 2022 trat Villani der Kleinpartei Génération écologie bei, die Teil des grünen Bündnisses Pôle écologiste ist und im Rahmen der breiten linken Allianz Nouvelle union populaire écologique et sociale (NUPES) zur Wahl antrat. Villani wurde von NUPES erneut im 5. Wahlkreis von Essonne aufgestellt, erhielt im ersten Wahlgang 38,2 % der Stimmen, unterlag aber in der Stichwahl mit nur 19 Stimmen Differenz dem Kandidaten Paul Midy vom Präsidentenbündnis Ensemble.
Villani erhielt 2001 den Louis-Armand-Preis der französischen Akademie der Wissenschaften und 2003 den Peccot-Vimont-Preis des Collège de France. Im selben Jahr war er Plenarsprecher auf dem Internationalen Kongress für Mathematische Physik und 2006 Invited Speaker auf dem Internationalen Mathematikerkongress (ICM) in Madrid (Hypocoercive diffusion operators). 2007 wurde ihm der Prix Jacques Herbrand der französischen mathematischen Gesellschaft verliehen, im Jahr darauf der EMS-Preis. 2009 erhielt er sowohl den Fermat-Preis als auch den Henri-Poincaré-Preis für innovative Arbeiten über kinetische Theorie[12] und optimalen Transport mit Anwendungen auf dissipative physikalische Systeme und Riemannsche Geometrie.[13]
2010 wurde er mit der Fields-Medaille ausgezeichnet. Seit 2012 ist er Mitglied der Academia Europaea und Ehrenmitglied der Royal Irish Academy. 2013 wurde er in die Académie des sciences gewählt. Ebenfalls 2013 war er Gibbs Lecturer und 2014 erhielt er den Joseph L. Doob Prize (für sein Buch Optimal Transport). 2011 wurde er Ritter der Ehrenlegion. 2013/14 und 2014/15 war er im Abel-Preis-Komitee. 2017 hielt Villani eine Gauß-Vorlesung (On triangles, gases, prices and men). 2016 wurde er zum ordentlichen Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften[14] ernannt und 2018 als assoziiertes Mitglied in die Académie royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique (Classe des Sciences) aufgenommen.[15]
Die neuentdeckte Spinnenart Araniella villanii aus der Familie der Araneidae, die architektonisch anspruchsvolle und ästhetisch ansprechende Netze webt, die aussehen, als würden sie den goldenen Schnitt implementieren, wurde 2020 nach ihm benannt.[16] Die Spinne ist hellgrün und lebt unter anderem in Büschen und Wäldern im Norden Indiens, im Südwesten Irans und im Osten Kasachstans. Villani hat eine Vorliebe für Spinnen und trägt häufig eine Brosche in Spinnenform.
Personendaten | |
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NAME | Villani, Cédric |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Mathematiker, Physiker und Politiker |
GEBURTSDATUM | 5. Oktober 1973 |
GEBURTSORT | Brive-la-Gaillarde |