Curtius etablierte die Erforschung des lateinischen Mittelalters in der Literaturwissenschaft, gilt als einer der herausragenden Experten auf dem Gebiet der mittelalterlichen Literatur und zählt zu den bedeutendsten Vertretern der deutschsprachigen Romanistik.
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Ernst Robert Curtius war der Sohn von Friedrich Curtius und der Schweizer Patrizierin Louise Curtius, geb. Gräfin von Erlach-Hindelbank. Seine Schwester Greda (1889–1972) heiratete den Soziologen Werner Picht, beider Sohn war Georg Picht. Die Schwester Olympia (1887–1979) heiratete den Mediziner Viktor von Weizsäcker. Der jüngere Bruder Friedrich Curtius (1896–1975) war Medizinprofessor. Hieraus ergab sich ein Geflecht vielfältiger Förderung. Auch zum Bonner Kollegen und späteren preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker bestanden gute Kontakte.
Curtius verbrachte seine Schul- und Studienzeit in Colmar und Straßburg, wo er auch Romanistik studierte und 1910 bei Gustav Gröber promoviert wurde (Einleitung zu einer neuen Ausgabe der Quatre livre des reis). Drei Jahre später habilitierte er sich 1913 in Bonn (Ferdinand Brunetière). Im Ersten Weltkrieg diente er als Offizier an der Westfront und wurde bei Ypern schwer verwundet. Nach dem Krieg wurde er 1919 außerordentlicher Professor in Bonn, 1920 ordentlicher Professor an der Universität Marburg und 1924 ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg.
1929 kehrte Curtius als Professor für Romanische und später auch für Mittellateinische Philologie an die Universität Bonn zurück, wo er bis zu seiner Emeritierung 1951 lehrte. 1930 heiratete er die 21 Jahre jüngere Romanistin Ilse Gsottschneider (1907–2002). Von 1947 bis 1951 war der spätere Literaturkritiker Walter Boehlich sein Assistent. Curtius verehrte vor allem Goethe, pflegte aber auch regen Kontakt mit zeitgenössischen europäischen Autoren wie André Gide, T. S. Eliot oder José Ortega y Gasset. Er war ein früher Fürsprecher für Marcel Proust und kritisierte die ersten deutschen Übersetzungen von Rudolf Schottlaender scharf. Während der Zeit des Nationalsozialismus befasste er sich mit dem unverdächtigen Thema der lateinischen Lyrik des Mittelalters und behielt seinen Lehrstuhl. Mit seiner Veröffentlichung Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter setzte er sich 1948 als einer der führenden europäischen Literaturwissenschaftler der Nachkriegszeit und Hauptvertreter der Topos-Forschung durch. Nach seiner Emeritierung 1951 verlegte das Ehepaar seinen Wohnsitz 1954 nach Rom. Doch zuvor erlitt er 1952 einen Schlaganfall sowie eine Leberentzündung und konnte kaum sprechen. Zur Verleihung des Ehrendoktorats durch die Sorbonne 1954 konnte er nicht anreisen. Er starb in einer römischen Klinik.
Curtius war 1930 Mitglied im Beirat der deutschen Abraham-Lincoln-Stiftung (ALS), einem Ableger der Rockefeller-Stiftung, der Carl Heinrich Becker präsidierte. Neben dieser akademischen Verständigung waren die deutsch-französischen Beziehungen ihm ein Anliegen. In den Jahren 1922 und 1924 beteiligte er sich an von Paul Desjardins organisierten gemeinsamen Treffen von Intellektuellen im Kloster Pontigny, den Dekaden von Pontigny, definierte aber die Beziehungen, ähnlich wie Arnold Bergstraesser, strikt elitär, sowohl was Initiatoren als auch was den Teilnehmerkreis beim Austausch und bei anderen Veranstaltungen anging.
Als nach 1928 auf französischer Seite eine Ligue d’Études germaniques, vor allem unter Lehrern, entstand, und einer der Mitgründer, der Germanist[1]Christian Sénéchal, das Elitenkonzept kritisiert hatte, beleidigte Curtius den Kritiker als „subalternen Skribenten“, der lediglich „von Eitelkeit, Dummheit und Ressentiment geborene Insinuationen“ produziere.
Mit dem Ernst-Robert-Curtius-Preis für Essayistik, 1984 gestiftet von dem Bonner Buchhändler und Verleger Thomas Grundmann, wurde nicht nur sein wissenschaftliches Werk geehrt. So hieß es in der Satzung der Stiftung: „Insbesondere mit seinen Essays hat er (auch) zu einem neuen Verständnis gemeinsamer europäischer Geistesgeschichte beigetragen.“ Der Preis wurde bis 2015 verliehen, anfänglich jährlich, ab 2001 im zweijährlichen Rhythmus. Sein Grab befindet sich auf dem Freiburger Hauptfriedhof.[2]
1921: Maurice Barrès und die geistigen Grundlagen des französischen Nationalismus.
1919: Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich.
Zur Mannheim-Curtius-Kontroverse
Curtius: Soziologie – und ihre Grenzen. In: Volker Meja und Nico Stehr (Hrsg.): Der Streit um die Wissenssoziologie. 2. Band: Rezeption und Kritik der Wissenssoziologie. Frankfurt 1982, S. 417–426. Zuerst erschienen in: Neue Schweizer Rundschau 22 (Oktober 1929), S. 727–736.
Karl Mannheim: Zur Problematik der Soziologie in Deutschland. In: dsb.: Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, eingeleit. und hrsg. von Kurt H. Wolff, Berlin 1964, S. 614–624. Zuerst erschienen in: Neue Schweizer Rundschau 22 (November 1929), S. 820–829.
Kai Nonnenmacher: Ernst Robert Curtius: Europäisierung historischer Topik oder französische Zeitgenossenschaft?. In: Deutschland und Frankreich im 20. Jahrhundert – Akademische Wissensproduktion über das andere Land, hrsg. von Michel Grunewald, Hans Jürgen Lüsebrink, Reiner Marcowitz, Uwe Puschner, Peter Lang, Bern 2012, ISBN 978-3-0343-1203-5
Sebastian Liebold: Starkes Frankreich – instabiles Deutschland: Kulturstudien von Curtius / Bergstraesser und Vermeil zwischen Versailler Frieden und Berliner Notverordnungen. 2008, ISBN 978-3-8258-1030-6.[5]
Stefan Gross: Ernst Robert Curtius und die deutsche Romanistik der zwanziger Jahre. Zum Problem nationaler Imagines in der Literaturwissenschaft. Bouvier, Bonn 1980, ISBN 3-416-01583-5.
Kian-Harald Karimi: Ernst-Robert Curtius’ epistemologische Wende am Ende der zwanziger Jahre. In: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte. 1995, Heft 1–2, S. 98–119.
Dirk Hoeges: Kontroverse am Abgrund: Ernst Robert Curtius und Karl Mannheim. Intellektuelle und freischwebende Intelligenz in der Weimarer Republik. Fischer, Frankfurt am Main 1994, ISBN 978-3-596-10967-8
Gilles Banderier, « La culture face à la barbarie. Ernst Robert Curtius », Regards sur l’Alsace du XXe siècle, éd. Claude Muller, Eckbolsheim, Éditions du Signe, 2021, p. 272–283.